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Urnenstelen auf dem Friedhof Lingenfeld
Kaiserslautern, 17.03.2012
Sehr geehrte Damen und Herren, am 08. Februar des Jahres hatten Sie mich gebeten, einen Vorschlag für die Gestaltung der Urnenbestattung auf dem Friedhof in Lingenfeld zu entwickeln. Ihre Anfrage bezog sich konkret auf das bereits bestehende Urnenfeld, dem Sie eine vertikale Möglichkeit zur Urnenbestattung in Form einer Mauer, Stele oder ähnlich zuordnen wollen. Bei der Gelegenheit verwiesen Sie auf die aktuelle Lösung der Gemeinde Bellheim, die ein Fertigprodukt der Firma ausgewählt hat. Möchte mir erlauben, Ihnen anbei eine erste Skizze sowie die Animation einer möglichen Lösung für Ihren Standort vorzuschlagen. Wir haben allerdings dabei Wert darauf gelegt – anders als in Bellheim – für Sie eine individuelle Lösung zu entwickeln, die die Thematik des Sterbens und des Gedenkens deutlicher aufgreift und widerspiegelt. Erlauben Sie mir deshalb, in wenigen Worten die Entwurfsphilosophie zu skizzieren, die unserem Vorschlag zugrunde liegt:
„Verstummen und Weiterreden“
Der Tod und die Trauer um den Verlust eines nahen Menschen haben immer schon zu emotionalen Erschütterungen führen können. Psychologische Interpretationen stellen heraus, dass erst der Ritus, die regelmäßig wiederkehrende Handlung des Abschieds und der Bestattung diesen sozialen und emotionalen Übergang erträglich werden lässt. Ethnologen nennen das „rites de passage“, sog. Übergangsriten, wie sie aus zahlreichen Kulturkreisen bekannt sind und beispielhaft beschrieben wurden1.
Die soziologische Deutung2 stellt heraus, wie seit Jahrhunderten Leben und Tod eng miteinander verknüpft sind. Die gesellschaftlichen Veränderungen haben sich gewandelt, was selbstverständlich auch in den Bestattungsriten widergespiegelt wird. Die Behandlung des Verstorbenen ist häufig nur noch eine technisch-organisatorische Beseitigung. Die rituelle Anteilnahme von Angehörigen, Nachbarn und anderen Mitmenschen ist reduziert worden auf die Geste nach der Trauerfeierlichkeit.
Die christliche Deutung hat die ethnologischen Übergangsriten aufgegriffen3 . Der Prozess des Sterbens, der Trauer und der Bestattung wird als Schleusendurchfahrt interpretiert. Während der Verstorbene im Moment des Todes ein anderes Niveau erreicht hat, können sich die Hinterbliebenen erst allmählich über verschiedene Ebenen dem geänderten Zustand annähern. Erst allmählich, innerhalb der Schleusenzeit, wird aus der geliebten Person der Tote, der bestattet werden kann. Während dieser Zeit kommen die Angehörigen mit zahlreichen Menschen, Ärzten, Pfarrern, Bestattern, Angehörigen und Nachbarn zusammen, die allesamt als Schleusenwärter dem Sterben eine Öffentlichkeit geben, die den Tod und den menschlichen Verlust in das soziale Umfeld stellen. Begräbnisfeier und der Weg an das Grab, der Moment der Übergabe in das Grab sind die rituellen Gesten, die die Schleusenausfahrt, die endgültige Überfahrt auf das neue Niveau des Lebens ohne den Verstorbenen darstellen.
Der Friedhof ist einerseits ein abgegrenzter Ort zu den Lebenden, andererseits vergegenwärtigt er in Sichtnähe die Sterblichkeit des menschlichen Daseins. Der Friedhof ist nicht nur in der soziologischen Interpretation, sondern auch in der christlichen Deutung ein Ort der Erinnerungskultur, eine Begegnungsstätte für gemeinsam Trauernde, einer Erinnerungsgemeinschaft, die die personale Würde der Toten über den Tod hinaus bekundet. Nicht zuletzt ist das Kreuz des christlichen Friedhofs Zeichen der Auferstehungshoffnung, der Sehnsucht nach einer Wiederbegegnung.
In den letzten Jahrzehnten haben sich die Formen der Trauerfeier und der Bestattungsform erheblich gewandelt4. Zunehmend mehr Menschen haben den Wunsch, aus verschiedenen Gründen nicht mehr den verstorbenen Leib dem Grab zu übergeben, sondern sie wählen die Kremation und Beisetzung in einer Urne. Die zentralen Gesten der Trauerfeier, die liturgische Begräbnisfeier, der Weg auf den Friedhof und schließlich die Übergabe in das Grab können nicht mehr als einheitlicher ritueller Vollzug begangen werden. Die Stationen der Schleusendurchfahrt sind zeitlich entkoppelt. Die Urnenbeisetzung, das Abstellen der Urne in die Gruft oder Grabkammer steht losgelöst von der feierlichen Würde christlicher Zuversicht, dass der leibliche Übergang des getauften Menschen in den Tod auch ein Übergang in eine neue Lebenshoffnung ist.
Andererseits ist die Einäscherung untergründig mit der Vorstellung verbunden, dass Feuer eine reinigende Kraft hat, die die Seele des Verstorbenen gleichsam auslöst5 . Das Vergängliche des Leibes aber ist reduziert auf ein Gefäß; die Leiblichkeit des Verstorbenen wird im eigentlichen Sinne unfassbar.
Wie auch immer bleibt der Tod ein Phänomen, vor dem man in der Fassungslosigkeit des Verlustes und Hilflosigkeit der Trauer verstummt. Die Grenzen der Gespräche sind überschritten; die Urnenwand ist eine Mauer des Schweigens.
Vor diesem Hintergrund haben wir eine Mauer konzipiert, die Ort für die Urnenaufbewahrung ist, aber auch als Stein des Widerhalls den verstummenden Gesprächen nachspürt. Entweder als integrierter Bestandteil der Mauer oder auch als separates Element ist ein geeigneter Stein auszuwählen6, der als Klanginstrument die Anmutung eines nachhaltigen Dialogs vermittelt.
Das Mauermaterial ist im skizzierten Fall als Sandstein oder grauer Beton gewählt, in den die Urnennischen eingelassen/ ausgespart sind. Die Abdeckung der Nischen sollte aus demselben Material (schwarzer Granit beispielsweise) bestehen wie der gewählte Klangstein.
Es sind zahlreiche weitere Lösungen denkbar, z. B. geschliffener Sandstein mit schwarzen Granitabdeckungen oder ähnlich. Wesentlich ist die Integration eines geeigneten Klanginstrumentes, wir schlagen ein Litophon vor!
Verstummen im Angesicht des Todes und dennoch Weiterreden durch den Stein der Mauer.
Die Mauer des Schweigens wird mit Hilfe des Klangsteins überwunden. Er ist Zeichen für den dauerhaften Nachklang der Stimme und die Unsterblichkeit der Seele.