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Reformation und Architektur – interdisziplinär
05.11.2015
Als der jetzige Vorstand im Frühjahr 2012 die Arbeit aufnahm, ist er mit der ausdrücklichen strategischen Zielsetzung angetreten, nicht nur baufachliche oder honorarrechtliche Themen zu bearbeiten, sondern auch und im Besonderen die gesellschaftsspezifischen Hintergründe, die politischen Restriktionen sowie ökologische oder soziale Erfordernisse offensiv zu thematisieren. Nicht das Zuwarten auf das Ereignis, sondern die vorausschauende und aktive Teilhabe am gesellschaftlichen und fachlichen Diskurs sollte noch deutlicher werden lassen, mit welcher Kompetenz Architekten, Innen- und Landschaftsarchitekten sowie Stadtplaner sowohl auf der Baustelle als auch in der gesellschaftspolitischen Debatte richtungweisende Akzente setzen und Konflikt- und Problemberatung leisten können.
Als im Jahre 2006 die Evangelische Kirche Deutschlands im Hinblick auf das 500-jährige Jubiläum zum Wettbewerb für innovative Ideen bzgl. Kirchengebäude aufgerufen hatte, hatten einige wenige Kollegen eine große Chance gesehen, in diesem proaktiven Sinne ein gesellschaftliches Thema zu besetzen. Denn Kirchenneubau war selten geworden. Die Kirchen sind vielmehr immer leerer geworden, viele werden seit langem umgenutzt oder gar abgerissen.
Dann kam die sog. „Lutherdekade“ 2008. Die EKD hatte eine Initiative gestartet, die mit jährlich wechselnden Themen der Reformationstheologie und ihrer Politik-, Kultur- und Sozialgeschichte bis zum Gedenkjahr der Reformation 2018 gewidmet sein sollte. Vor wenigen Tagen wurde das letzte Themenjahr ausgerufen, die die Reformation in eine Welt stellt; es gab Bild und Bibel (2015), Politik (2014), Toleranz (2013) und Musik (2012), Freiheit (2011), Bildung (2010) und Bekenntnis (2009). Ein Aspekt aber blieb unbeachtet: das Thema „Architektur“ fehlte vollständig. Der Kammervorstand hat das strategische Potential dieser Konzeptlücke erkannt und einen eigenständigen Beitrag - nicht nur inhaltlich, sondern auch finanziell - entwickelt, dessen Abschlussveranstaltung wir heute erleben durften.
Reformation und Architektur gehen vordergründig gar nicht zusammen. Das war so die erste Reaktion bei vielen Kolleginnen und Kollegen. Was haben „wir“ mit Religion zu tun, das ist Privatsache, und das sollen die Kirchen oder andere kunst- und kultursinnige Institutionen selber machen. Dem Grunde nach ging es in der kritischen Debatte um die Frage des vordergründigen Nutzens und der wirtschaftlichen Bedeutung für den Berufsstand.
Nun denn, eine kleine Arbeitsgruppe hatte schließlich doch das Placet des Vorstandes und der Vertreterversammlung, sich für das Projekt zu engagieren und ein Programm aufzustellen. Es gab sehr viele Beratungen und Sitzungen, allesamt ehrenamtlich und unentgeltlich! Schließlich konnten wir einen ersten Teilerfolg mit der großzügigen Förderzusage der Bundesregierung für unser „außergewöhnliches Projekt“ feiern. Dass die verantwortlichen Verwaltungspraktiker und -praktikerinnen in unserer Geschäftsstelle auch Bedenken hatten, hat unserer Freude keinen Abbruch getan, aber dennoch waren sie berechtigt. Denn sie kennen das Procedere und wissen um den personalintensiven und bürokratischen Aufwand, der mit einer Förderzusage der Bundesregierung verbunden ist. An dieser Stelle allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kammerverwaltung, in allererster Linie Frau Bärbel Zimmer, unser aller Dank für das Engagement und die fachlichorganisatorische Begleitung des Projektes.
Das Projekt, das wussten wir in unserer Arbeitsgruppe, war auch eine inhaltliche Provokation. Unser Team war ganz heterogen besetzt, zunächst nur wir paar Architekten und unser Jurist, Herr Fett. Dann kam Frau Zimmer dazu, die uns sozusagen mit der Kammerverwaltung vernetzte. Und schließlich der ausgewiesene Theologe Weyer-Menkhoff, ein Professor und Hochschullehrer, der an der an der Universität Mainz die Praktische evangelische Theologie lehrt und vermittelt. Und das war für uns alle gut so. So waren wir nicht nur interessiert und engagiert, sondern auch ganz heterogen besetzt, sowohl der Profession als auch der Konfession nach. Insofern lag es auf der Hand, das inhaltliche und methodische Gerüst unserer geplanten Veranstaltungen auch interdisziplinär anzulegen. Wir wollten mit unserem Projekt einen möglichen Weg aufzeigen, dass man und wie man anhand dieses primär „kirchlichen“ Reformationsereignisses trotz kritischer Perspektive und emotionaler Distanz Gemeinsamkeiten herausfiltern kann.
Unter Interdisziplinarität versteht man die Nutzung von Ansätzen, Denkweisen oder Methoden verschiedener Fachrichtungen. Eine interdisziplinäre, fächerübergreifende Arbeitsweise umfasst mehrere voneinander unabhängige Einzelwissenschaften, die einer bestimmten Fragestellung mit ihren jeweiligen Methoden nachgehen. Es geht nicht um das ledigliche Aneinanderreihen von Disziplinen, sondern Interdisziplinarität zeichnet sich dadurch aus, dass Methoden, Vokabular und Instrumente zwischen den Disziplinen vermittelt werden. Es geht also nicht nur um den Austausch von Ergebnissen, sondern um das Zusammenführen verschiedener Teilaspekte, ein reines Nebeneinander dieser Aspekte reicht hierfür nicht aus, um eine Problemlösung zu erreichen (https://de.wikipedia.org/wiki/Interdisziplinarit, gesehen am 27.10.2015).
Unser Ziel war es nicht, einer wissenschaftstheoretischen „Brückendisziplin“ (Vollmer, G. 2010) nachzueifern. Aber die inhaltlichen und methodischen Erfahrungen, wie sie vom Theologen Romano Guardini und dem Architekten Rudolf Schwarz bei ihrem Zusammenleben und -wirken auf Burg Rothenfels Ende der 20iger Jahre gemacht wurden, waren schon historisches Leitbild unser interdisziplinären Perspektive.
Wie auch immer - heute ist zu fragen: war es erfolgreich? Ist der ehrgeizige Ansatz einer disziplinübergreifenden Diskussion, einer strategischen Zusammenführung unterschiedlicher Fachleute zu ein und demselben Thema geglückt? Ich erinnere an die Motivation und Zielsetzung des Vorstandes – mitten in der Gesellschaft zu stehen, thematische Chancen in der politischen Debatte zu identifizieren und zu einem strategischen Vehikel berufspolitischer Zielsetzungen auszubauen. Nach unserer ersten Veranstaltung mit dem anspruchsvollen Thema „Wort und Raum“ hatte ich zunächst meine erheblichen Zweifel. Ja, es war schwierig gewesen, viele theologische und psychologische Fremdwörter beherrschten die Vorträge. Nach der Auftaktveranstaltung – ganz bewusst in der mächtigen Mainzer Christus-Kirche - schallte uns eine unverständliche, vielleicht sogar zornige Sprachlosigkeit laut entgegen.
Insofern war es nicht verwunderlich, dass die Resonanz der zweiten Veranstaltung zum Thema „Diakonie“ - trotz des historisch-authentischen Ambientes in Bad Kreuznach - verhalten war. Die Beispiele unserer Kolleginnen zur Architekturgeschichte und Moderne des diakonischen Bauens waren eindrucksvoll; es fehlte der interdisziplinäre Widerpart – besser der kongeniale Partner, der die berufsständische Philosophie seines eigenen diakonischen, oder auch medizinischen Tuns in den Kontext von Reformation und bauliche Herausforderung stellte.
Die Veranstaltung zur „Bildung“ an historischer Universitätsstätte Casimirianum in Neustadt war nach meiner Wahrnehmung ein erster richtiger Erfolg. Der furiose Vortrag der Soziologin, Prof. Jutta Allmendinger aus Berlin, dazu die ästhetischen Zeugnisse einer Architektur der Bildung vom Kollegen Jörg Aldinger aus Stuttgart, da begegneten sich die Disziplinen. Ergänzt um die weiteren Vortragenden aus der Stadtplanung, der theoretischen Religionspädagogik und des praktizierenden Lehrerberufes wurde die abschließende Diskussionsrunde endlich das, was wir uns als interdisziplinäre Begegnung vorgestellt hatten.
Wie ich anschließend hörte, hat das auch die letzten Zweifler unseres Projektes überzeugt. Und ich denke, allein die große Resonanz und die Teilnehmerzahl der heutigen Veranstaltung zum „Öffentlichen Raum“ beweist, dass das Projekt der Architektenkammer in der gesellschaftlichen Wahrnehmung über die eigene Disziplingrenze hinaus angekommen ist. Der Berufsstand hat bewiesen, dass er sich einer gesellschaftlichen Fragestellung über den eigenen Horizont hinaus stellen kann und eine interdisziplinäre Sprache erlernen kann. Es geht dann nicht mehr nur um die multidisziplinäre Moderation oder die Organisation von Gewerken und Projekten. Sondern in unserem Fall ist es das scheinbar so fremde und ferne Reformationsjubiläum gewesen, eine religiös konnotierte Thematik, die wir anhand unseres Veranstaltungskonzeptes „Reformation und Architektur“ in den praktischen Mittelpunkt der berufsständischen und baukulturellen Wahrnehmung holen konnten.
Sehr geehrte Damen und Herren,
möglicherweise wird mir - entgegen meiner Erwartung und Hoffnung - doch nicht jeder von Ihnen, von der Kollegenschaft im Lande zustimmen. Aber bedenken Sie, seit einigen Monaten steht auch die Architektenschaft mitten in einer neuen Herausforderung, einer Diskussion um Leben, Wohnen und Arbeiten, nicht zuletzt um kulturelle und religiöse Befindlichkeiten, wie sie uns mit der epochalen Flüchtlingswanderung begegnet. Auch bei dieser gesellschaftlichen Aufgabe dürfen und können wir nicht zuwarten, sondern müssen proaktiv und konzeptionell unsere Kompetenz in die politische und gesellschaftliche Diskussion einbringen. Es genügt nicht, auf die Baufträge zu warten, sondern auch hier geht es nur im interdisziplinären Kontext. Es geht um kompetente Politikberatung, Familienpolitik und Wohnungsbau, Gesundheitspolitik und medizinische Versorgung, Bildungspolitik und Räume des Lernens. Nicht zuletzt geht es auch um Kulturpolitik, im Speziellen um die Religion und die Architektur der Religionen.
Vor 14 Tagen habe ich in Berlin Udo di Fabio, ehem. Richter beim Bundesverfassungsgericht, gehört, der in seinem Vortrag der Rechtsentwicklung infolge der Reformation nachging (Guardini-Stiftung 2015). Er hat einen weiten Bogen gespannt, ausgehend vom römischen Recht bis in die Gegenwart unserer Verfassungsgesellschaft. Eines war und ist nach seiner Auffassung von existentieller Bedeutung für einen nachhaltigen gesellschaftlichen Frieden,
- dass der westliche Wertekanon keinen Absolutheitsanspruch rechtfertigt, sondern nur mit Behutsamkeit und Reflexionsbereitschaft an andere gewachsene Kulturen heranzutragen ist,
- dass der Fortbestand einer kulturellen Identität die aktive Belebung Bindung stiftender Kulturgüter und Institutionen erfordert
- dass lebendige Kirchen und Religionsgemeinschaften zentrale Institutionen dieser kulturellen Debatte sind.
In der Diskussion um Integration und Inklusion der Menschen aus den fernen Kulturkreisen ist unsere Sprachfähigkeit zur eigenen Identität und das Wissen um unsere kulturelle Herkunft mit spezifisch antiken und jüdisch-christlichen Wurzeln von existentieller gesellschaftlicher Bedeutung.
Ich bin überzeugt, wir haben es mit der Veranstaltung „Reformation und Architektur“ bewiesen.