zurück ...

Die Flut im Ahrtal im Juli 2021

Schlussfolgerungen und Positionen von Architekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplanern in der Architektenkammer Reinland-Pfalz

Die Position von Hermann-Josef Ehrenberg – Landschaftsarchitekt

    Planungsinstrumente

  1. Die Region und der Landschaftsraum sind eingebunden in die klassischen Planungsinstrumente der Regional- und Landschaftsrahmenplanung. Die maßgeblichen geografischen Planungsgrundlagen sind bekannt und liegen seit Jahren vor. Dazu zählen auch und vor allem die Hochwassergefahrenkarten der Landesregierung, die aus den Bestimmungen der EU-WRRL heraus seit Jahren entwickelt wurden. Sie sind für jedermann einsehbar (https://hochwassermanagement.rlp-umwelt.de) und zeigen räumlich konkrete Überflutungsflächen und Wasserstandstiefen bis hin zu HQextrem.
  2. Die regionalen Ergebnisse dieser hydraulischen und topografischen Berechnungen sind i. d. R. in der lokalen Bauleitplanung zu berücksichtigen. Die tatsächlichen Ereignisse im Sommer 2021 haben diese Szenarien nicht nur bestätigt, sondern weit übertroffen. Fundamentale Schäden sind speziell dort aufgetreten, wo in den Hochwasserrisikokarten bereits erhebliche Schadenskonsequenzen prognostiziert wurden.
  3. Diese Karten werden nunmehr – auf der Basis neuer Risikoeinschätzungen – aktualisiert.
  4. Es ist aus berufsständischer Sicht in besonderer Weise darauf hinzuwirken, dass generell entscheidungserhebliche Planungsgrundlagen zeitnah aktualisiert vorgehalten werden. Aus planungsstrategischer und geografischer Perspektive können Identifizierung und Priorisierung geoökologischer Risikoräume eine gewisse Vorrangigkeit in der planungspolitischen Abwägung vor Ort unterstützen (Hochwasser/ Sturm/ Erosion/ Lokalklima etc.)
  5. Bewertungsphilosophie

  6. Der Begriff der „Katastrophe“ hat einen vollkommen neuen Stellenwert erhalten, der bis in räumliche Planung, in die Bauleitplanung hineinwirken wird. Das Beispiel im Ahrtal zeigt exemplarisch, dass nicht nur geeignete (Flucht-)Wege neu aufgezeigt und planerisch vorgedacht werden müssen, sondern in der regionalen und lokalen Abwägung müssen biogeografische Parameter (z. B. auch Erdbeben) auch die Entscheidung über eine Raumnutzungsunverträglichkeit ermöglichen.
  7. Das geht weit über die inhaltlichen und methodischen Regularien der Eingriffsregelung hinaus. An dieser Stelle wird der Katastrophenbegriff in einen planungspraktischen Kontext gestellt, wie er zwar in der Checkliste des Bau- (Anl.1 zu § 2(4) BauGB) und UVP-Rechts ausformuliert ist (ebd. Anl. 4), allerdings noch nie wirklich Planungspraxis geworden ist. Die Bürgerinitiative zum HW-Polder im Altriper Rheinbogen beispielsweise bekommt so eine neue Gewichtung.
  8. Die Zielsetzung und Maßnahmen des Wiederaufbaus im Ahrtal stehen einerseits vor dem Gebot der existentiellen Wiederherstellung eigentumsrechtlicher und sozio-kultureller Verbundenheit, andererseits vor der perspektivischen Einschätzung raumverträglicher Nutzungsmuster. Es wird Räume der Instandsetzung vorhandener Altsubstanz geben, es wird aber auch besondere Gefahrenbereiche geben, in denen die (Wieder-)Errichtung baulicher Anlagen grundsätzlich verboten werden wird.
  9. Ein Entwicklungsszenario und ein strategisches Instrumentarium

  10. Die Entscheidungen über Standort und Objekt sind dann auch Zeichensetzungen zur baukulturellen und landschaftsgestalterischen Zukunft des Ahrtales. Die existentielle Dringlichkeit zahlreicher Baumaßnahmen wird kurzfristig keine umfangreiche und theoretische Leitbilddiskussion über Kulturlandschaft und Heimatbild erlauben.
  11. Die mittel- und langfristigen Impulse in die Baukultur jedoch sollten zu bedenken geben, welche sozialen und ökonomischen Wirkkräfte die verloren gegangenen Heimatbilder historisch bestimmt und geprägt haben. Das ist die Diskussion nach sozio-kultureller Identität und Kontinuität, das ist aber auch die Frage nach der Moderne in Lebensweise, lokalem Wirtschaften und regionaler Mobilität.
  12. In der Vergangenheit sind die überlieferten Orts- und Landschaftsbilder mit ihren atmosphärischen Angeboten Begründung und Motivation für einen ökonomisch erfolgreichen Tourismus gewesen. Vor dem Hintergrund des notwendigen Neuanfangs zwingt die Herausforderung zur Moderne, neue Bestimmungsstücke der Architektur, der Landschaftsarchitektur und Infrastruktur zu entwickeln, die für den zukunftsorientierten Tourismus attraktiver Zielpunkt sind und Motivation und Begründung, eine neue Landschaft zu beleben.
  13. Die Beiträge der Architektenkammer können m. E. vor Ort nur punktuell und individuell wirksam sein. Aber es besteht die planungsstrategische Chance, beispielsweise die Tourismusstrategie 2025 des Landes in einen neuen Begründungszusammenhang zu stellen und vor dem Hintergrund der nachgewiesenen Reisemotivation und Ziele (ebd. 10/ 2016, S. 967) baukulturelle Entwicklungsziele und zukunftsweisende Architekturprojekte in der betroffenen Region modelhaft zu begründen. An der Stelle schließt sich ein berufspolitischer Diskussionskreis in der Architektenkammer Reinland-Pfalz, wie er bereits 2017 in der Arbeitsgruppe Baukultur und Tourismus initiiert wurde.

Kaiserslautern, den 11.01.2022